Selbsthilfe

Trotz der Todesgefahr leisten Jüdinnen und Juden Widerstand. Sie retten sich selbst vor der Ermordung in Ghettos und Vernichtungslagern, verstecken andere Verfolgte oder verhelfen ihnen zur Flucht ins Ausland. Sie suchen Hilfe bei Verwandten und Bekannten, die noch nicht deportiert worden sind. Häufig müssen sie sich jedoch völlig Fremden anvertrauen. Manche Untergetauchte organisieren sich in Hilfsnetzwerken, auch gemeinsam mit ihren Helferinnen und Helfern.

Chug Chaluzi – Zionistische Jugendgruppe

Edith Wolff hat einen jüdischen Vater, ihre Mutter kommt aus einer christlichen Familie. Nach den Nürnberger „Rassengesetzen“ von 1935 gilt sie als „Mischling 1. Grades“. Aus Protest gegen die Judenverfolgung bekennt sich Edith Wolff zum jüdischen Glauben und schreibt anonyme Protestbriefe. Obwohl sie selbst gefährdet ist, engagiert sie sich unter anderem in einer jüdischen Hilfsorganisation. Als sie im Herbst 1941 von den Deportationen erfährt, organisiert sie Verstecke, Nahrung und Ausweise für Verfolgte. Mit ihrem Freund, dem Lehrer Jizchak Schwersenz, gründet Edith Wolff 1943 die geheime Jugendgruppe Chug Chaluzi (Kreis der Pioniere). Zum Kern der Gruppe gehören etwa zehn untergetauchte Jüdinnen und Juden. Im Untergrund tauschen sie sich über ihre Religion und zionistische Ideen aus. Die Mitglieder eint der Wille zu überleben und gemeinsam nach Palästina auszuwandern. Die meisten Untergetauchten aus der Gruppe überleben. Jizchak Schwersenz gelingt die Flucht in die Schweiz. Edith Wolff wird im Sommer 1943 von der Gestapo verhört und später in einem Prozess zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Sie überlebt die Haft in verschiedenen Konzentrationslagern und Gefängnissen.

 

„… die Suche nach Unterkunfts-Adressen und die Ermittlung geeigneter Personen, welche bereit waren, Obdach zu gewähren, war im Grunde die wichtigste Arbeit zur Durchführung der Illegalität überhaupt. Es gab eine ganze Reihe von Menschen, bei denen ich Erfolg hatte – aber mehr waren es doch immer solche, die es gleich von vornherein ablehnten.“

Edith Wolff in einem unveröffentlichten Bericht 1959

 

Walter Süskind – Mitglied des Judenrats

Walter Süskind ist Leiter der „Expositur“, einer Abteilung des „Jüdischen Rats von Amsterdam“, einer Zwangseinrichtung der Besatzer. Er muss das Sammellager in der Hollandsche Schouwburg, einem ehemaligen Theater, leiten. Dort werden Jüdinnen und Juden bis zur Deportation in Vernichtungslager inhaftiert. Walter Süskind und weitere Jüdinnen und Juden verhelfen etwa 1.000 Gefangenen zur Flucht aus dem Lager. Dabei arbeiten sie mit mehreren Widerstandsgruppen zusammen, die Geflohene meist in Verstecken auf dem Land unterbringen. Auch zahlreiche Kleinkinder werden in Einkaufstaschen oder Wäschekörben aus der Kinderkrippe des Lagers geschmuggelt. Mit den letzten Deportationen im Herbst 1943 muss Süskind das Sammellager auflösen. In 18 Monaten hat er Hunderten Menschen das Leben gerettet. Walter Süskind wird anschließend selbst in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Er, seine Frau und seine Tochter werden ermordet.

 

„Süskind, klein, vierschrötig, mit blondem Stoppelhaar und großen blauen Augen, verschlagen wie Odysseus, kampfbereit wie Achill, Süskind, der Held, der Retter, der Spieler, sagt ja, sagt nein, selektiert, trifft Entscheidungen über Leben und Tod. Er trägt die Verantwortung, macht die Deutschen besoffen, fälscht Listen, kennt alle Tricks, erfindet neue, weiß in welchen Nächten etwas geht, kommt immer durch und wird am Ende doch mit Frau und Kind in Auschwitz ermordet.“

Grete Weil in ihrer Autobiografie 1980

 

Oswald Rufeisen – Dolmetscher bei der deutschen Polizei

Shmuel Oswald Rufeisen flieht nach dem deutschen Überfall 1939 aus Polen. Über die Ukraine und Litauen gelangt er 1941 in die Stadt Mir in Weißrussland, das inzwischen auch deutsch besetzt ist. Da er akzentfrei Deutsch spricht, gibt er sich als „Volksdeutscher“ aus Polen aus. Er findet Arbeit als Dolmetscher bei der deutschen Schutzpolizei und wird im Ghetto eingesetzt. Gleichzeitig hält er Kontakt zu jüdischen Partisanengruppen in der Gegend. Rufeisen erfährt durch Zufall, dass am 13. August 1942 alle Insassinnen und Insassen des Ghettos Mir erschossen werden sollen, und warnt sie. Mehr als zweihundert von ihnen fliehen in die Wälder. Das Ghetto ist unbewacht, weil die Wachen aufgrund eines falschen Hinweises von Rufeisen nach russischen Partisaneneinheiten suchen. Die Mehrheit der Geflüchteten wird später aufgespürt und ermordet. Rufeisen wird festgenommen und kann fliehen. Er findet Unterschlupf in einem Nonnenkloster in Mir. Dort wendet er sich dem Christentum zu und lässt sich taufen. 1943 schließt er sich einer jüdischen Partisaneneinheit an, bei der er überlebt.

 

„… ich fühlte mich damals wie ein Soldat, der für eine Sache kämpft, und ich wußte immer, wofür ich kämpfte. Ich kämpfte zwar auf meine eigene Weise, ich habe niemanden getötet, aber ich habe gekämpft. … ich hatte einfach den Mut oder auch das Gefühl, daß ich für das Leben vieler Menschen Verantwortung trüge, und das habe ich getan.“

Oswald Rufeisen (Pater Daniel) in einem Zeitzeugengespräch 1993

 

zurück